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18.12.2025

Die Rückkehr ins Private ist demokratiegefährdend

Jedes Jahr formuliert die bürgerliche Mitte aufs Neue den Wunsch „ruhiger, besinnlicher“ Feiertage – und sie scheitert zuverlässig an sich selbst. Zwischen Lieferfristen, Geschenkeschlachten und Wohlfühlritualen entsteht jene paradoxe Betriebsamkeit, die weniger Ausdruck innerer Einkehr ist als vielmehr ein durch Hektik befeuerter Tunnelblick: Man möchte von dem, was da draußen ist, in Ruhe gelassen werden. Der Wunsch nach Rückzug ins Private wirkt harmlos, tatsächlich ist er aber folgenreich. Schon immer waren die Anhänger der Tyrannen jene, die vor allem Ruhe und Ordnung suchten, weil sie die Komplexität um sie herum überforderte. Dafür waren sie gerne bereit, den Preis der Freiheit zu zahlen. Aber dort, wo die Bürgerschaft nicht mehr Marktplatz des Ausgleichs und der Verhandlung ist, gerät Demokratie ins Schlingern. Recht und Verlässlichkeit, Sicherheit und Ordnung entstehen nicht aus Entziehen, sondern aus Initiative und materiellen Voraussetzungen. Schon in der Antike galt, dass Prosperität Sicherheit schafft, Wohlstand Ordnung ermöglicht. Eine ökonomisch solide Mitte ist nicht nur gesellschaftliches Zentrum, sie vermittelt auch zwischen unterschiedlichen Interessen und hält Extreme im Zaum. Die Dynamik ihrer Selbstverortung im gesellschaftlichen Zentrum resultiert aus dem Anerkennen von Durchlässigkeiten: aus der Hoffnung, nach oben steigen zu können und der Angst, nach unten zu fallen.

Hier liegt der blinde Fleck der Gegenwart. Politik versteht es meisterhaft, Abstiegssorgen zu schüren, aber versagt in der wichtigsten kulturellen Leistung: Zuversicht zu vermitteln. Der Kern unseres Gemeinwesens ist längst nicht mehr der Staat, sondern die Industriegesellschaft. Vollbeschäftigung und Wachstum waren einst der Kitt, der Klassengegensätze überdeckte und jene breite Mitte schuf, die „Wohlstand für alle“ nicht nur versprach, sondern real machte. Diese entstandene Mitte konsumierte leider, statt zu debattieren, und legte damit die Saat ihres Niedergangs, denn wer Sicherheit will, muss bereit sein, sie zu riskieren.

Der Philosoph Martin Kornberger stellte kürzlich fest: „Die Tür der Zukunft geht nach innen auf. Wer hindurch will, muss erst einen Schritt zurück tun.“ Für den erfolgreichen Ausstieg aus der selbstverschuldeten Unmündigkeit, braucht es also Innehalten. Eine neue Mitte müsste sich nicht über Besitzstände definieren, sondern über Kühnheit: Ideen, statt Ängste zu produzieren, Probleme zu lösen, statt zu verwalten, Subsidiarität sowie Eigenverantwortung wiederzubeleben und damit das Regelwerk des Gemeinwesens bewohnbar zu machen.

Vielleicht wäre es an der Zeit, dass die bürgerliche Mitte ihre Weihnachtsruhe nicht länger mit Weltabgewandtheit verwechselt. Denn wer nur Stille sucht, überlässt das Gehörtwerden den Lautesten. Eine Gesellschaft, die ihre Mitte verliert, verliert am Ende sich selbst. Besinnlichkeit beginnt nicht im Rückzug, sondern in der Rückkehr zur Verantwortung. Wenn die Mitte wieder Mut fasst, könnte aus der festlichen Betriebsamkeit ein neuer gesellschaftlicher Aufbruch werden – und aus der Frage nach Ruhe endlich die Antwort auf eine gemeinsame Zukunft. Frohe Weihnachten!

29.10.2025

Zur Stadtbilddiskussion

Meinungsfreiheit beinhaltet auch das Recht, andere bewusst missverstehen zu dürfen, selbst dann, wenn man sich gar nicht mit der Position des anderen auseinandersetzen will.  Fraglich ist allerdings, ob dies einer verantwortungsvollen Debattenkultur zuträglich ist oder nur Meinungsgräben vertieft und betoniert. Ein gutes Beispiel hierfür ist die aktuelle Stadtbilddiskussion. Natürlich darf man die Frage stellen, ob es von einem Bundeskanzler klug ist, bei einem völlig sachfremden Termin in einem Nebensatz reichlich Raum für Spekulation zu entzünden, wie man mit Abschiebungen Probleme im Stadtbild löst. Diejenigen, deren Geschäftsmodell und Grundhaltung die Empörung ist, interpretieren hier wohl etwas ganz anderes rein als die laut einer Umfrage von INSA 56% der Bevölkerung, die hier eine ziemlich präzise Vorstellung hatten, was Merz tatsächlich gemeint haben könnte. Klarer zeigte sich das Bild, nachdem Merz präzisiert hat, was oder besser, wen er genau meint: Migranten ohne dauerhaften Aufenthaltsstatus, die nicht arbeiten und gegen Regeln verstoßen. Hier schnellte das ZDF Politbarometer auf 63% hoch. Das Kalkül, dass die Menschen im Land Einen schon verstehen werden, schien zumindest im zweiten Schritt aufgegangen zu sein, der Ansatz Probleme mit schnodderiger Rhetorik politisch lösen zu können, ging dabei weniger auf. Laut Umfragen hat die Union im zeitlichen Kontext der Debatte eher an Zustimmung verloren. Differenzierter war Tübingens Bürgermeister Boris Palmer zur Stelle, jemand der sich berufsmäßig, wie die meisten Kommunalpolitiker, intensiv mit der Realität auseinanderzusetzen hat und weniger mit der Ausblendung von Problemen. Er fand es „bezeichnend, dass die Kritiker (von Merz) nicht akzeptieren wollten, dass sie eine Minderheit sind.“ Und er kritisierte klar, Merz zu unterstellen, er wolle hart arbeitende Menschen mit Migrationshintergrund abschieben als gefährlich und spalterisch. Über das bewusste Missverstehen und das mittlerweile reflexautomatisierte Gemeinmachen des Moralmedienbetriebs gegen die Mehrheitsmeinung, hat sich ein Angsttsunami entwickelt, der für die große Mehrheit der gut integrierten Menschen mit Migrationshintergrund eine starke Belastung darstellt. Es bedeutet auch, dass bei der Anwerbung ausländischer Fachkräfte für viele Engpassberufe, Deutschland auf der Wunschliste immer weiter nach hinten rutscht. Also auch hier ein Bärendienst. Die verständliche Sehnsucht, ein Volksfest wieder ohne Taschenkontrolle, einen Weihnachtsmarkt ohne Poller, eine Innenstadt ohne Angst zu besuchen, wird man tatsächlich nur mit einer Maßnahmenklaviatur befrieden. Die Verweigerer von Arbeitsmarktqualifikation, Spracherwerb und Grundgesetz sollte man mit den Mitteln des Rechtsstaats ausweisen können, den Willigen Zugänge und Teilhabe ermöglichen aber auch klare Erwartungen formulieren und Straftäter – übrigens auch die mit deutschem Pass – konsequent der Justiz zuführen. Würde man das zielgerichtet erledigen, müsste man bei aufflammenden Verteilungskämpfen auch nicht mehr arme Menschen gegen noch Ärmere aufhetzen.

18.09.2025

Freiheit ist immer die Freiheit des Andersdenkenden

„Ich mag verabscheuen, was du sagst, aber ich werde bis zum Tode kämpfen, damit du sagen darfst, was du willst.“ – Voltaires Diktum klingt wie das intellektuelle Fundament der Aufklärung, und doch wirkt es heute, nach dem Attentat auf Charlie Kirk, wie ein Leitspruch aus einer untergegangenen Epoche der Debatte. Am 10. September, mit einem Schuss auf offener Bühne, scheint etwas zerbrochen zu sein – in den USA, aber auch in der globalen Öffentlichkeit, die ihre kulturellen Impulse seit Jahrzehnten aus Amerika bezieht. Ich gestehe offen: Bis zu jenem Tag kannte ich Charlie Kirk nur dem Namen nach. Ein republikanischer Kommentator, ein weiterer unter vielen, so dachte ich. Erst nach dem Attentat sprach ich mit Bekannten, die viel mit den USA zu tun haben – und erfuhr, wie aufmerksam sie Kirk verfolgten. Für sie war er ein Gegengewicht zum linksliberalen Mainstream, der seit Jahren aus Amerika nach Europa strahlt. Während man sich hierzulande damit begnügte, Trump als schrillen „Jackass“ abzutun, war Kirk offenbar für viele das klarsprechende Gegenüber in der republikanischen Bewegung. Ich teile Kirks Ansichten in weiten Teilen nicht. Und doch hat mich sein Tod erschüttert – in seiner Brutalität und in dem, was er symbolisiert: den Bruch mit einer demokratischen Kultur, die auf Dialog setzte. Die Ermordung Kirks ist ein politisches Fanal. Seine Botschaft war schwierig, unbequem, aber artikuliert, zivil, argumentativ. Seine größte Provokation war offenbar das Weiterführen des Gesprächs. Dass er gerade dadurch zur Zielscheibe wurde, lässt den Verdacht aufkommen, dass heute nicht mehr der Inhalt zählt, sondern allein die Tatsache, dass jemand überhaupt noch spricht. Umso irritierender sind die Reaktionen. Wir erleben eine Instrumentalisierung des Mordes von beiden Seiten. All das lenkt vom Wesentlichen ab: dass Meinungsfreiheit ein hohes Gut ist – und dass es unerlässlich bleibt, miteinander im Gespräch zu bleiben. Wer stattdessen Spott und Häme verbreitet oder Kritiker diskreditiert, gießt Öl in ein Feuer, das schon lange schwelt: den Kulturkampf zwischen den Lagern, die zunehmende Sprachlosigkeit. Die amerikanische Linke und Rechte haben sich in den letzten Jahren in kulturellen Fragen radikalisiert, ohne dass dies die politische Mitte aufzuhalten vermochte. Kirk suchte weiter den Dialog. Dass nun sein Tod zum Gegenstand von Zynismus wird, zeigt, wie verroht der Diskurs ist. Eine Gesellschaft, die politisch motivierte Gewalt duldet oder gar feiert, verliert ihre Legitimität. Was am 10. September starb, war nicht nur Charlie Kirk. Es starb die Hoffnung, dass man auf offener Bühne noch streiten kann, ohne um sein Leben zu fürchten. Die Rhetorik der moralischen Überlegenheit, das Denunziatorische, die intellektuelle Hermetik – all das kennen wir längst auch in Europa. Deswegen wirkt Voltaires Satz heute wie ein Relikt aus idealistischeren Zeiten, doch wir müssen ihn verteidigen, gerade dann, wenn wir nicht einverstanden sind. Wer nur noch zustimmt, der ohnehin derselben Meinung ist, lebt nicht in einer Demokratie, sondern in einer Echokammer. Das kann niemand ernsthaft wollen.

14.08.2025

Die verstummte Mitte

Was die politische Landschaft derzeit prägt, ist weniger der Aufstieg der Extreme – sondern das Verstummen der Mitte. Die jüngsten Umfragen sind nur Symptom. Die tiefere Diagnose lautet: Das Zentrum unseres politischen Fundaments hat offenkundig seine Stimme verloren – und mit ihr Richtung, Kraft und Vertrauen in eine freiheitliche Grundordnung. Die politisch wie gesellschaftliche Mitte ist nicht verdrängt worden. Sie hat sich ins Private zurückgezogen. Sie erklärt nicht mehr, sie vermittelt nur noch. Sie grenzt sich ab, statt sich zu positionieren. Und sie hofft, dass Verantwortlichkeit durch Schweigen ersetzt werden kann. Doch wer nicht mehr sagt, wofür er steht, wird unweigerlich von jenen übertönt, die bereit sind, jedes Vakuum mit Lautstärke zu füllen – ob von links oder rechts. Und sie wird leichte Beute machen, ohne in die Verlegenheit zu kommen, jemals liefern zu müssen. Dabei war es gerade das Aufstiegsversprechen, das über Jahrzehnte das Rückgrat dieser Republik bildete: Wer sich anstrengte, konnte auf Sicherheit, Eigentum und Mitsprache hoffen. Heute ist dieses Versprechen vielerorts nur noch Rhetorik. Junge Menschen erleben, dass Fleiß nicht zum Fortschritt führt, Eigeninitiative nicht zu Teilhabe, und Politik nicht zu Ergebnissen, sondern zu Simulationen. Die politische Mitte hat sich scheinbar von einem aktiven Projekt zu einer passiven Verwaltungseinheit gewandelt. Zwischen Schuldenbremse und Förderkulisse, zwischen Klimaziel und Koalitionsarithmetik ist der Kompass verloren gegangen. Der Staat wirkt kleinteilig, aber nicht wirksam. Überreguliert im Kleinen, orientierungslos im Großen. Das Ergebnis: Ein Kontrollstaat ohne Kontrolle, ein Sozialstaat ohne soziale Mobilität, eine Demokratie ohne narrative Kraft. Doch das muss nicht so bleiben. Die Republik braucht keine weitere Lagerbildung – sie braucht eine radikale Mitte, die bereit ist, den Status quo für Neues zu opfern. Kein taktisches Zentrum, sondern ein inhaltliches Projekt. Eine Mitte, die Klartext spricht, wo andere verschleiern. Die leistet, was andere nur fordern. Und die endlich wieder sichtbar wird – nicht als reflexhafter Gegenpol, sondern als bewusste Entscheidung für eine Ordnung, die Freiheit nicht erklärt, sondern lebt. Die Leistung nicht relativiert, sondern sie aufs Podest hebt. Diese neue Mitte muss gestalten, nicht abwarten. Sie braucht Institutionen, die funktionieren, statt nur zu verwalten. Einen Staat, der befähigt, statt zu lähmen. Eine Bildungs- und Eigentumspolitik, die Teilhabe schafft, nicht nur Gerechtigkeit durch Umverteilung behauptet. Und vor allem: eine Sprache, die Realität benennt – ohne Moralrhetorik, aber mit Haltung. Wer Vertrauen zurückgewinnen will, muss sich bewegen. Nicht durch Empörungsrituale, sondern durch Wirksamkeit. Nicht durch Distanz zu den Menschen, sondern durch Nähe zur Lebenswirklichkeit. Politik darf kein Betriebsmodus sein, sie muss ein Gestaltungsversprechen werden. Denn die Zukunft dieser Republik entscheidet sich nicht an ihren Extremen. Sie entscheidet sich in ihrer Mitte. Aber diese Mitte darf kein Wartesaal sein. Sie muss wieder Kraftzentrum werden – nicht aus Nostalgie, sondern aus Notwendigkeit. Jetzt ist sie am Zug.

24.07.2025

Die Linken sind die neuen Reaktionäre

„Der Fortschritt lebt vom Austausch, das Beharren auf Besitzstand ist sein Ende“, schrieb einst der Ökonom, Politiker und geistige Vater des deutschen Wirtschaftswunders Ludwig Erhard. Doch in der gegenwärtigen gesellschaftspolitischen Lage scheint sich diese Einsicht ins Gegenteil verkehrt zu haben. Denn wer heute den Blick über die letzten drei Dekaden gesellschaftlicher Entwicklung schweifen lässt, erkennt: Das Reaktionäre hat längst die Seiten gewechselt. Wo früher das konservative Bürgertum als Hüter des Status quo galt, als Bollwerk gegen Veränderung, tritt heute ein neuer Typus des wohlhabenden, akademisch geprägten Linksbürgertums an dessen Stelle – ein Milieu, das paradoxerweise ausgerechnet jenes Aufstiegsversprechen diskreditiert, dem es seine eigene gesellschaftliche Position verdankt. Es sind die durch harte Arbeit der Elterngeneration wohlversorgten Erben der 68er-Generation, deren progressive Ideale sich in den sicheren Hafen institutionalisierter Umverteilung gerettet haben. Ihr Fortschrittsbegriff besteht zunehmend in der Verregelung des Lebens, der Delegation aller Verantwortung an einen omnipräsenten Staat – als ließe sich soziale Gerechtigkeit durch administrative Allmacht erzwingen. So ist eine politische Atmosphäre entstanden, in der Leistung zur Verdächtigen wird, Eigenverantwortung als neoliberales Relikt gilt und ökonomische Wertschöpfung nur noch als Umverteilungsmasse betrachtet wird. Man beklagt soziale Spaltung – und erschafft sie, indem man die Leistungsbereiten demotiviert und die Innovationsfreudigen mit Misstrauen überzieht. Schon immer waren die Unternehmer als Bösewichter im öffentlich-rechtlichen Tatort überrepräsentiert. Der moralische Überbau dieser neuen Reaktion – postmateriell, identitätssensibel, wohlstandsverwöhnt – suggeriert gesellschaftlichen Fortschritt, untergräbt aber dessen Grundlage: die produktive Mitte. Während man sich im Diskurs über Gerechtigkeit und Gleichheit verliert, gerät aus dem Blick, dass ohne ökonomisches Fundament keine Gesellschaft dauerhaft tragfähig ist. In der Konsequenz erleben wir den schleichenden Verlust eines elementaren zivilisatorischen Versprechens: des sozialen Aufstiegs durch Leistung. Was früher Motor des Fortschritts war, wird heute als toxisch problematisiert. Doch eine Gesellschaft, die den Zusammenhang von Anstrengung und Ergebnis auflöst, verliert nicht nur ihre ökonomische Dynamik – sie riskiert auch ihren inneren Zusammenhalt. Erkennbar an dem Aufwachsen der politischen Ränder bei der letzten Bundestagswahl, insbesondere bei den Wählern der jungen Generation, die die Erosion der Mitte durch eine um Tabus tanzende Debattenkultur miterleben durfte. Vielleicht ist es an der Zeit, daran zu erinnern, dass wer Wohlstand erhalten will, ihn erst einmal erwirtschaften muss und wer die soziale Balance sichern will, muss denen, die tragen, mehr Respekt entgegenbringen als denen, die sich tragen lassen. Dann könnten wir uns die finanzielle Unterstützung staatlich alimentierter Demokratiehüter sparen.

17.03.2025

Junge Union sind letzte Hüter der Vernunft

Jugendorganisationen von Parteien, egal von welcher politischen Farbe, hatten schon immer eine etwas skurrile Außenwirkung und in der Regel auch deutlich radikalere Haltungen als ihre Mutterparteien. Jusos und Grüne Jugend immer spürbar weiter links als SPD und Grüne, JuLis noch windschnittiger als die Protagonisten der FDP und die Junge Union wirkte in der Vergangenheit oft so, als hätte Mutti morgens noch die Klamotten rausgelegt. In den Vorfeldorganisationen kann man sich die Hörner abstoßen, ausprobieren, wie weit man gehen kann. Durch den repressiven Sanftmut des Establishments wird mit der Zeit die Heißspornigkeit der Jugend eingebremst. Mit zunehmender Erfahrung und mit der politischen Sozialisierung erfolgt eine Mäßigung der Protagonisten, ein Wandel zu mehr Vernunft und am Ende auch zu mehr Pragmatismus. Die Veröffentlichung des Sondierungspapiers von CDU und SPD mit den darin skizzierten atemraubenden Neuverschuldungsplänen hat nun aber einen interessanten Gegeneffekt ausgelöst, die Junge Union stellt sich zurecht auf die Hinterbeine und versucht auf Friedrich Merz mit allem, was sie hat, einzuwirken. Dass Merz nach der im Wahlkampf vehement geforderten Politikwende, sich innerhalb von nur 14 Tagen aufmacht, linke Wirtschaftspolitik umsetzen zu wollen, ist schon sehr erstaunlich und wird nicht unbedingt zum Demokratievertrauen der Menschen im Land beitragen. Nicht zu unrecht wies auch Ex-Bundesfinanzminister Christian Lindner in seiner Rede am Donnerstag im Bundestag daraufhin, dass er drei Jahre den etatistischen Irrlauf von Rot-Grün verhindern konnte, was aber jetzt erfolgen soll, ist eine verantwortungslose Kernfusion mit einer weit zukunftsprägenden Neuverschuldung. Nachdem die letzten Bundesregierungen über viele Jahre im Steuergeld schwammen, dabei aber jedwede Reformanstrengung vermieden hatten, um das Land wettbewerbsfähig zu halten, kommt nun, insbesondere für die nächste Generation, das dicke Ende. Die Infrastruktur der Bundesrepublik ist bis zur Dysfunktionalität kaputtgespart worden. Ausgerechnet jetzt, wo die Steuereinnahmen nicht mehr sprudeln, entdeckt die früher große Koalition, die heute nur noch eine kleine ist, ihr Herz für die Infrastruktur. Sie verlangt ungedeckte Blankoschecks für vage Projekte, allerdings ohne ihre Dickgesäßigkeit beim Angehen notwendiger Strukturreformen abzuschütteln, um Investitionen zu gegenfinanzieren. Die Einzigen, die diesen Plänen noch hätten entgegenstehen können, waren die Grünen, die sich ihren Widerstand durch teure Geschenke abkaufen ließen – und: die letzte Bastion der Vernunft, die neuen Abgeordneten der Jungen Union wie der kluge JU-Vorsitzende Johannes Winkel oder unser Wahlkreisabgeordnete Pascal Reddig. Die Junge Union ist – durch die zukünftige Abwesenheit der FDP im Deutschen Bundestag – die letzte Hoffnung. Bitte bleibt standhaft, denn eure Generation wird es am meisten ausbaden müssen, was mit Deutschland und Europa durch die Neuverschuldungspläne und die damit einhergehende Entwertung des Euros geschehen wird. Ihr könnt dabei auch eure Polohemdenkragen hochgeklappt lassen.

13.02.2025

Dumm ist der, der Dummes tut

Dumm ist der, der Dummes tut, spricht Tom Hanks als Forrest Gump im gleichnamigen Film. Was wie eine Binse klingt, wird durch die Figur des einfachen Südstaatenjungen mit einem IQ von 75 zur Weisheit. Trotz der erschwerten Starbedingungen geht Forrest seinen Weg und agiert dabei auffällig klug. Dummheit scheint also nicht an Personen gebunden zu sein, sondern an in ihr Handeln. Der These schloss sich kürzlich der amerikanische Philosoph und New York Times Kolumnist David Brooks in seinem Text „The six principles of stupidity“ an. In der Bugwelle der ersten Tage der Trump Administration versuchte er zu erklären, wie viel Fähigkeit in grundsätzlich hochintelligenten Menschen steckt, Dummes zu tun. Dabei definiert Brooks Dummheit als das Ignorieren der Frage, was als nächstes aus einem bestimmten Handeln resultieren wird. Das System Trump flutete direkt am ersten Tag der Amtsübernahme die Welt mit allerlei abstrusen Ideen, von der Annektierung Kanadas und Grönlands über Zollerhebungen, das Zusammenstutzen der Verwaltung bis zur Unkenntlichkeit und vieles mehr. Während die vermeintlich klugen Eliten noch mit der Einordnung dieser Maximalforderungen überfordert waren, fragten sich die Verantwortlichen in den Städten und Gemeinden, ob sie am Tag darauf noch Geld für Polizisten, Schulen oder Straßenreparaturen hätten. Brooks verglich das Vorgehen mit dem Versuch, Akne mit einer Enthauptung zu heilen, eine treffende Analyse. Das Agieren folgt dem Motiv, Populismus über jede inhaltliche Idee zu stellen, die Empörung als Treibstoff zu nutzen, um auszuloten wie weit man gehen kann, um dann seine Ideen in abgeschwächter Form umzusetzen. Im Folgenden stellte Brooks seine Prinzipien heraus, beispielsweise die These, dass Ideologie zu Meinungsverschiedenheit führe, Dummheit zu Verwirrung. Diese Verwirrung hält momentan die ganze Welt in Atem. Ein weiteres Prinzip besagt, dass Menschen, die sich dumm verhielten, gefährlicher seien als Menschen, die sich bösartig verhielten. Böse Menschen hätten zumindest ein gewisses Bewusstsein für ihr eigenes Interesse, das sie bremsen könnte. Dummheit dagegen kenne keine Grenzen, sie glaubt, alle Antworten zu haben! Daraus resultiere das nächste Prinzip: Menschen, die sich dumm verhielten, seien sich der Dummheit ihres Handelns nicht bewusst. Als Beispiel führt er den Dunning-Kruger-Effekt heran, nachdem inkompetente Menschen nicht in der Lage sind, ihre eigene Inkompetenz zu erkennen. Das ergibt eine gefährliche Allianz aus Dummheit und Selbstüberschätzung, die unmöglich zu bekämpfen sei, sowie eine Sehnsucht nach Überwindung von Komplexität. Wer aber Komplexität ausblendet, wird feststellen müssen, dass seine vermeintlich einfachen Lösungsansätze nicht verfangen. Das erleben wir gerade in vielen Debatten, die ohne Rationalität geführt werden – von der Migrations- über die Energie- bis zur Wirtschaftsdebatte. Vernünftige Argumente verhallen bei denen ungehört, die nicht in einer strukturierten Welt des Denkens leben, sondern in einem chaotischen Durcheinander von Vorurteilen. Deswegen ist der Gegenspieler der Dummheit nicht die Intelligenz, sondern die Vernunft. Hoffentlich kommt diese am 23. Februar nicht zu kurz.

23.01.2025

Der Bildungsföderalismus ist am Ende

Schafft bitte den Bildungsföderalismus ab. Was als Zugeständnis an die Bundesländer gedacht war und für einen Wettbewerb der Bildungssysteme sorgen sollte, um die besten Absolventinnen und Absolventen hervorzubringen, muss heute als gescheitert angesehen werden. Statt Wettbewerb herrschen Funktionsegoismen, Festhalten am Status quo und Kompetenzgerangel. In fetten Jahren konnte man vermeintlich darüber hinwegatmen, in Zeiten leerer Kassen und katastrophaler PISA-Ergebnisse tun sich die Abgründe der brutalen Versäumnisse auf. Wir leisten uns 16 schlechte Bildungssysteme statt ein gutes. Es ist nicht lange her, dass die Welt uns um unser Bildungssystem beneidete. Heute sind wir abgehängt, dabei können wir uns dieses Abgehängtsein jetzt so wenig leisten wie nie. Bildungsökonom Ludger Wößmann rechnete vor kurzem vor, dass ein Minus von 25 Punkten bei den PISA Tests einen Wohlstandsverlust von 14 Billionen Euro bedeute. Schlecht ausgebildete Menschen schaffen nicht nur weniger Wertschöpfung, sie holen auch den Bildungsabstand nie wieder auf. Unabhängig von dieser Zahl, herrscht seit vielen Jahren über die Parteigrenzen hinweg Konsens, dass wir bessere Bildung brauchen. Auch die Bevölkerung scheint laut Bildungsbarometer des ifo Instituts von 2024 bereit, die Ausgaben für bessere Bildung zu erhöhen, viele Menschen sehen den Ist-Zustand kritisch. Nur ein Fünftel der Hessen geben ihrer Bildungspolitik die Note 1 oder 2. 35 Prozent bewerten das System mit Note 4 oder schlechter. Als ressourcenarmes Land sind wir auf kluge und kreative Köpfe angewiesen. Und trotzdem ist seit Jahrzehnten, in denen wir diese Erkenntnis haben, nichts passiert, in Wahrheit sind die Zustände immer schlimmer geworden. Wir schaffen es einerseits, das Land mit 1er Abiturienten zu überfluten, aber nur unzureichend mündige Schulabgänger zu entlassen, zudem verlassen jährlich 80.000 junge Menschen die Schule ohne einen Abschluss. Privatschulen und Internate sprießen aus dem Boden, weil diejenigen, die es sich leisten können, das staatliche Schulsystem meiden, wo sie können. Gleichzeitig kann jeder vierte Viertklässler nicht richtig lesen oder rechnen. Statt uns um diese Probleme zu kümmern, werden wir nicht müde, die jungen Menschen weiter mit unnützem Wissen zuzuschütten, dabei richten wir sie ab, nicht auf. Wir versagen bei der Bildungsgerechtigkeit und der Sicherstellung von Aufstiegschancen, weil auch der wichtige Lehrerberuf auf falschen Anreizen aufbaut. Statt Beamtentum und Besoldungssteigerungsautomatismen bräuchte es mehr Dynamik, Boni für nachweisliche Qualitätsverbesserungen und für die effektive Sicherstellung von Chancen in allen Bildungsformen. Statt subjektiver Noten als extrinsische Motivation bräuchte es mehr zugewandte intrinsische Motivation und objektive Vergleichbarkeit auf nationaler Ebene. Es bräuchte einen Reset der Lehrpläne, eine schöpferische Zerstörung im Sinne Joseph Schumpeters, wie vor Kurzem der Ökonom Daniel Stelter forderte. Wir brauchen die Zerstörung, um die über viele Jahre protegierten Systemfehler zu beseitigen, für einen echten Neuanfang. Also macht kaputt, was euch kaputt macht!

02.01.2025

Rückbesinnung auf die Kernaufgaben des Staates

Im Siegel der USA findet sich der Wappenspruch „E pluribus unum,“ was so viel bedeutet wie „aus vielen eines.“ Ursprünglich wollte man damit die Idee des Föderalismus beschreiben. Zwischenzeitlich wurde er umgedeutet als Ausdruck der Diversität der amerikanischen Bevölkerung und tatsächlich ist es ein Phänomen, dass es so viele stolze Amerikaner gibt, obwohl sie keine Ethnie vereint. Vielmehr ist es eine Haltung, die aus dem Ideal der Freiheit erwachsen ist. In den letzten Jahren hat sich ein neuer Umdeutungsprozess in Gang gesetzt, woke Eliten, die „aus einem vieles“ machen wollten. Die verordnete Diversität hat dabei nicht nur zu einem massiven Gegentrend und dem Comeback von Donald Trump geführt, sondern auch zu einem Paradoxon in den liberalen Demokratien des Westens, wie die Soziologin Eva Illouz in ihrer Dankesrede zur Verleihung des Frank-Schirrmacher-Preises feststellte. „Wir leben in beispiellosem Wohlstand unter dem Schutz früher unbekannter Menschenrechte und doch war die Opferrolle noch nie so verbreitet wie heute.“  Aus dem Trend sich ständig als Opfer zu fühlen, ist ein Anspruch auf Sonderbehandlung entstanden, der die Verantwortung vom Einzelnen auf das Kollektiv schiebt. In unserer verinstagramisierten Welt konkurrierender Individualisten wollen immer mehr Menschen beweisen, dass sie absolut einzigartig sind, und der Anspruch darauf findet sich in der Opferrolle am besten begründet. Aber wenn sich jeder als Opfer empfindet, dann wird niemand mehr Verantwortung für sein Tun übernehmen.  Für die vergleichsweise junge deutsche Republik kam so eine Diskussion wie gerufen, denn hierzulande möchte man lieber mit- als vorneweglaufen und so viel Verantwortung wie möglich auf den Staat abwälzen. Auch die NZZ titelte erst vor Kurzem, dass Deutschland kein liberales Land sei, Staat ginge hier immer vor Privat. In Zeiten sprudelnder Steuereinnahmen hat sich der Staat immer dicker gefressen. Heute, wo es im ehemaligen Land der Dichter und Denker, der Tüftler und Macher nicht mehr so rund läuft, fällt uns auf die Füße, dass immer weniger Menschen an der Wertschöpfung beteiligt sein wollen. Die Zukunftsforscher nennen das „End of ambition,“ es beschreibt das durch die sogenannte Cost of Living Crisis verursachte Ende des Glaubens an das Aufstiegsversprechen als Narrativ einer freiheitlichen Gesellschaft. Genau dieser Effekt, gefährdet die westlichen Demokratien und ermöglicht den Aufstieg der Populisten. Die Mehrheitskultur als organisch gewachsener gesellschaftlicher Konsens wird durch die Opfererzählung zunehmend in die Defensive gedrängt. Und während die einen betroffen mit dem Finger auf sich zeigen lassen, stellen die anderen die freiheitliche demokratische Grundordnung in Frage. Diesem Trend entgegenzuwirken, ist eher gesellschaftliche als politische Aufgabe. Nach der Wahl im Februar sollte sich der Staat sehr zügig auf seine Grundaufgaben refokussieren: Sicherheit, Bildung, Infrastruktur sowie die verlässliche Durchsetzung von Recht und Gesetz. Gleichzeitig sollte er damit aufhören Diskussionsräume weiter künstlich zu verengen, denn die Gesellschaft schafft ihre Diskurse schon ganz alleine, wenn man muss sie nur lässt.